GerBra
Alles Wölkchen
Heute las ich in meiner Tageszeitung, daß die gerade stattfindende CeBit nun »ganz im Zeichen der Cloud«¹ steht.
Die »Cloud, mit der Daten, Programme und Berechnungen vom Heim-PC oder dem Rechenzentrum im Unternehmen ins Netz verlagert werden«².
Geradezu revolutionär sei ja die "Cloud", »zu Deutsch "Rechnerwolke" (ist) eine neue Technik für Computernutzer«³. Jaja, und täglich grüßt das Murmeltier, denke ich mir. Mit wieviel Demenz rechnen denn Journalisten und "StartUps" bei uns eigentlich?
Schon in etlichen Jahren vor der Jahrtausendwende arbeiteten viele von uns in und mit der "Cloud" - nur hieß das bei uns noch Host...
Gut, Host (oder bei lustigen IT'lern auch Horst) läßt sich phonetisch nicht so schön als was Wichtiges aufblähen wie "Clahuud". Es bleibt bei muttersprachlich Deutschen halt ein "hartes" Wort, das "Host". Cloud kann man nun so ausprechen wie in "Klaus", aber wer wirklich Ahnung von dem Ganzen hat, der wird (und muß) es genüßlich dehnen. So, jetzt mal alle: Cloud
Auf gar keinen Fall darf man es betont wie "Klauen" rüberbringen - auch wenn wie oben der Host schon mal... Nein! Das hört das Marketing gar nicht gerne, man kriegt den Strafzettel und ist eben nicht mehr "Wölkchen". Man ist dann ein "Retro" (da noch nicht der Demenz verfallen) und darf am großen Geldscheffeln nicht teilhaben.
Als wir damals entweder mit Terminalemulationen wie der 3270 auf dem Host mit unseren dortigen Daten und Programmen/Funktionalität arbeiteten, oder im UNIXoiden Umfeld mit lokalen dummen (aber nicht virenverseuchten!) Terminals, teilweise sogar schon mit grafischer Oberfäche(X), mit zig Leuten auf nur einem Rechner - wir machten unsere Arbeit, wußten halt nicht das wir schon "Cloud Computing" machten.
Wer mal mit top/htop sich seine Prozesse anschaut, dem ist evtl. schon mal pro Prozeß die TIME-Spalte aufgefallen - daß ist aus der Zeit, als Rechenzeit auf dem Host noch gekauft werden mußte. Und wurde darüber pro User auch abgerechnet. Ein Geschäftsmodell was ja unsere cleveren Marketing-Menschen gerade auch wieder "neu" erfinden - in der "Klaut"...
Hätte es damals schon die technischen Voraussetzungen wie heute gegeben, u.a.: günstige Hardware, Rechenleistung quasi im Überfluß(jeder Heim-PC unterm Schreibtisch hat mehr Rechenleistung als vor 20 jahren ein ganzes Rechenzentrum/Host), eine schnelle Netzwerkverbindung auch über große Entfernungen(damals war X.25 als WAN noch state-of-the-art),etc..., dann würden wir heute evtl. über "Host Computing" gähnen und würden auf "Cloud Computing" uns einen pfeifen.
"Always look at the bright side of life, didi didi didididi".....
¹, ², ³: (Mainzer) Allgemeine Zeitung, "Cebit zeigt die Cloud zum Anfassen", 6. März 2012
efreak4u
Sehr schoener Artikel... und so schoen auf den Punkt gebracht. ^^
anomander
Host war aber unbequem... man musste sich irgendwie einloggen.. und im dümmsten Fall mit grauer Schrift auf schwarzem Grund arbeiten...
Cloud ist schön einfach... das wird mit dem Betriebssystem zusammen installiert, oder läuft im Browser und man kann völlig unkompliziert seine Daten in alle Winde (pardon: Wolken) zerstreuen...
Es ist wie überall die Akzeptanz und damit die Zahl der Nutzer steigt mit Useability und vor allem mit der Integration in bestehende und bekannte Strukturen... damit lässt sich sowas auch primastens verkaufen 😉
stefanhusmann
Zumal die Begrifflichkeiten bei "Cloud" auch so schön dureinander gehen. Bei uns im Unternehmen verkauft man unter dem Begriff eher Virtualisierungslösungen für Großkunden.
Aber ein Wölkchen hat ja auch keine scharfen Grenzen.
LessWire
Prima Beitrag, der den Nagel auf den Kopf trifft!
Damals war's aber im übertragenen Sinne ein "Intranet", dazu mit wenigen Ausnahmen auf den Lokalbereich beschränkt, da kam kein Fremder so leicht an die Daten.
Heute passiert ja in vielen Fällen gerade das Gegenteil von dem, was man vernünftigerweise machen sollte, da passt die "cloud" gut dazu.
Hoffentlich stirbt mittelfristig der vollwertige PC nicht aus, eine Entwicklung in diese Richtung ist nicht zu übersehen. 🙁
Starjumper
Ich erinnere mich wie bereits anno 1996 vorhergesagt wurde, dass es in Zukunft keine vollwertigen Computersysteme Zuhause stehen würden sondern sogenannte Nettops o.ä. (im Sinne von Geräten die nicht mehr als ein Terminal können) Das wurde dann auch in den buntesten Farben ausgemalt und prophezeiht.
Viele Jahre später finden wir eher das absolute Gegenteil vor. Selbst Handys sind durch die Smartphoneentwicklung zu vollwertigen stand-alone Computersystemen mutiert, welche die "Cloud" eher nur zusätzlich für social networking, besonders hohe Reichenleistung (Spracherkennung in google Suche bei Android z.B.), oder zentrale Speicherung nutzen.
Ich denke das ist im Moment wieder mal nur ein Hype, bei dem wieder viele Unternehmen verschwinden, oder schrumpfen werden und eine Handvoll überleben werden.
Bedenklich finde ich vielmehr den teilweisen technischen und sozialen Zwang an solchen Dingen teilnehmen zu müssen. Zwangsinstallierte Apps auf Smartphones sind extrem ätzend, wie auch manchmal die Tatsache, dass man an gewissen "Cloud" Angeboten teilnehmen sollte/muss, will man noch so was wie ein soziales Leben haben. Manche Desktopumgebungen wie z.B. Gnome 3 treiben dies auch ziemlich vor.
GerBra
Ich rede noch nicht mal gegen eine "Cloud", noch über sicher diskussionswürdige Sicherheitsbedenken. Mein "apostelhafter"<g> Ansatz ist eher, sich nicht beliebig zum Spielball von Interessen machen zu lassen.
Die Computerei kommt von einem zentralen Umfeld her. Nutzer schleppten anfangs Lochkartenstapel zum SysOp für Berechnungen, später wurde zumindest die Ein-/Ausgabe(Tastastur/Maus/Bildschirm) dezentral abgewickelt, da Terminals bezahlbar möglich und somit produktiver(profitabler) waren. Aber am Anfang war schonmal die Cloud... Diese war ein entwicklungsbedingter Zwang damals, einer meiner Lieblingssätze aus dem Film "Apollo 13" ist z.B.: "Irgendwann werden wir Rechner haben, die in nur ein Zimmer passen".
Der "Siegeszug des Personal Computers" brachte diese Welt dann gehörig ins Schwanken. Rechenzeit, Programme und auch die Daten wurden plötzlich dezentral verarbeitet und abgelegt - wo die Anforderungen eigentlich alles für einen zentralistischen Ansatz sprechen. Die Auswirkungen sind/waren IMHO langfristig enorm:
* Man war zwar nicht mehr gezwungen quasi bittstellerhaft zum Mensch im weißen Kittel, mit dem Novell/VAX-Handbuchordner unterm Arm, zu laufen - aber man war plötzlich selbst für die Funktionalität des Rechners verantwortlich (Admin,root).
* Die dezentralen Inseln mußten sich zwangsläufig neu verbinden um gemeinsam arbeiten zu können. Verschämte Ansätze waren appletalk(Mac), netbios(Windows), deren Hersteller aber alle in der Zeit der "großen Dezentralisation" groß wurden. Somit waren alle Ansätze gerichtet, "seine" Insel mit der nächstgelegenen Insel zu verbinden - das ""Festland, die Kontinente"(Server,Host,Cloud) wurden wissentlich und! unwissentlich ignoriert. Der Rubel rollte ja auf den Inseln...
Meiner Meinung nach gibt es im Zuge der PC-Ära(Personal bis hin zu den heutigen technischen Entwicklungen) eigentlich nur zwei "Gewinner", Visionäre, Ansätze die auf das richtige Pferd setzten: OS/2 und UNIXe/Linux/BSDs.
Warum? Weil diese von Anfang an richtigerweise auf TCP/IP als Transporttier setzten. Also die Methodik des damals aufkommenden und heute allgegenwärten "Internets" zu Lösung des "Inselproblems" nutzen.
* Windows -> verschlief das Internet vollkommen, Geldzählen macht müde...
* Apple -> badete jahrelang in seinem elitären Umfeld bis es sich unixoiden Strukturen zuwand
* Novell -> ging baden, weil für die dicken Handbuchordner scheinbar niemand TCP/IP reinschreiben durfte
Aber Apple und Microsoft (und deren Umfeld) haben/werden die "Cloud" erfinden. Cloud ist nämlich erst dann, wenn auf deren jeweiligen "Desktops"(Shit, gibts ja nicht mehr...) ein Icon mit der Beschriftung "Cloud" vorhanden ist.
Und das ist, was mich eigentlich an diesen "Innovationen" heutzutage prinzipiell am meisten ärgert: Wer hat's erfunden?
*WIR* waren es. SSH-Nutzer, NFS-Nutzer(die von jedem Rechner der Welt transparent Datenspeicher einfach "nutzen"), X-Anwender(die Applikationen, ganze Desktops, von den Wolken holen), User von ThinClients/PXE, usw. Das können und machen wir schon seit Jahrzehnten. Es wird wirklich Zeit das auch mal selbstbewußt rüberzubringen: die wahren Cloud-Experten sind eigentlich wir...
Ich rede (und will auch nicht) gegen die technischen Entwicklungen (schnelles Netz, kleinere und einfachere Geräte) anstinken, nur: Mit einem heutigen Rennwagen kann jeder Depp schnell fahren, aber wer hat die Straße gebaut?
"Äpps" ist auch so etwas... Während andere noch üben gehen wir schon seit Jahrzehnten locker und leicht mit Äpps um. Jedesmal, wenn wir mit einem Paketmanager uns eine Anwendung/Funktionalität aufspielen. Wer hat also die bessere Erfahrung über Infrastruktur und Nutzung dieser "Innovation"?
Ach ja, ich redete ja ursprünglich mal über den Host... Zurückmarschieren zum Host, mit einer 3270 und schwarz/weiß Terminal? Natürlich nicht! Aber ich verlange, daß z.B. Journalisten, Entscheidungsträger, Technikjünger und vor allem wir doch die Herkunft, die Erfahrung, bei der Bewertung von angeblchen "Innovationen" heranziehen und - ja - auch würdigen.
Man kann von 25jährigen - naturgemäß! - nicht die gleiche Erfahrung wie z.B. bei einem 50jährigen voraussetzen. Was man aber IMHO verlangen kann, ist bei seiner eigenen Betrachtung einfach mal ein paar Schritte zurückzugehen. Nicht immer spielt sich alles - oder liegt die Lösung - auf seiner eigenen, kleinen Insel. Und da vermisse ich eben z.B. in der Berichterstattung/Bewertung von - Topic! - der "Cloud" einfach sowas wie: "Das Konzept der Cloud ist nun nichts absolut Neues, ursprünglich wurde meist so gearbeitet, und es gibt Systeme/Ansätze die schon gut darauf vorbereitet sind. Der technische Fortschritt macht nun eine wesentliche bessere Nutzung dieses eigentlich schon alten Konzeptes möglich". Also kein: Vorwärts!, wir marschieren zurück. Aber doch mal ein: Rückwärts um vorwärts zu marschieren...
Nochmal ein paar Dinge zur "Personal Computer" Phase (die Gedanken wollte ich oben noch unterbringen, funktionierte aber nicht<g>):
a) Ich weiß nicht, ob der "PC" (abseits für "Spiele") untergeht - für oder mit der "Cloud"(oder was weiß ich wie das nächste Ding heißt...). Aber er hat unbestreitbar Nachteile als Werkzeug zur Organisation, Verarbeitung und Lagerung von daten - unabhängig von Betriebssystemen usw. Der Ansatz der Virtualisierung(wie von stefanhusmann schon angeführt) als Effekt des "Cloud"-Gedankens ist sicherlich - aus meiner Sicht - ein richtiger Ansatz. Was da so unterschiedliche Dinge betrifft wie Wartbarkeit und z.B. Energieverbrauch. Nicht zu vergessen daß heutige PCs/Rechengeräte ihre Leistung nur zu wenigen Gelegenheiten wirklich brauchen, aber ansonsten ihre Leistung als Idle bzw. Leerlaufprozess "verbraten". Die Glühbirne hat man aus diesem Grund verboten...
b) Client/Server-Konzept. Für uns absolut nichts Neues, leider in anderen Umgebungen (da Rechte, Konzepte und das Geld "geschützt" werden müssen) kaum angewandt. Wenn ich mir durchscnittliche Branchenlösungen in Betrieben anschaue ist meist das maximale an Client/Server daß die Datenbank per Netzwerklaufwerk verfügbar ist und krude über lokale Schnittstellen bedient wird.
StarOffice (der Vorläufer von OpenOffice) war kostenlos im Sinne von Freeware. Das Paket konnte wunderbar auf vernetzten Arbeitsplätzen genutzt werden, da lokal nur eine Art Start/Stop-Skript vorhanden sein mußte - die Anwendung wurde dann von Zentral geladen. Ich weiß gerade nicht auswendig, wo dabei letztendlich "gerechnet" wurde, lokal oder auch am Server, aber aus Warte der Administration war das ein Segen. Jeder Arbeitsplatz konnte so mit der gleichen Version und Funktionalität versorgt werden, Änderungen/Updates waren nur einmalig nötig. Das Teil brachte mit Office/EMail/WWW-Client/FTP etc. alles mit, wir haben es oft als einzigen X-Client für die lokalen X-Server auf den Arbeitsplätzen gestartet. Bei Windows halt als Vollbildanwendung... Das war, wenn ich mich richtig erinnere, in den Jahren 1997-1999... Es geht mir nun bei dem Beispiel nicht darum, die alten StarOffice-CDs wieder rauszukramen - aber wer den täglichen Wildwuchs bei Office-Anwendungen in Betrieben erlebt, der wird auch nachvollziehen können warum selbst die Hersteller dieser Anwendungen sowas in die "Cloud" prügeln wollen - und sei es auch letztendlich nur um nicht einmal, sondern mehrmals damit Geld zu verdienen....
Genug "Wölkchen", danke für's Lesen meiner Gedanken, ich krieg nun ein "Hüngerchen". Dann muß ich mal schauen, ob mein Pacmänchen ein paar neue Äppchen für mich hat...
efreak4u
... und ich suche schon wieder den "Bedanken"-Button. 🙂
LessWire
@GerBra: danke auch nochmals !
Wirklich tolle Beiträge - eigentlich zu schade, nur so nebenbei im Forum aufzutauchen. Würde viel besser in eine auflagenstarke Fachpublikation passen - oder gleich als Flugblatt zur derzeitigen Cebit. 😉
danbruegge
efreak4u schrieb... und ich suche schon wieder den "Bedanken"-Button. 🙂
Dito
Apollo Costa
Finde es nicht so dramatisch das etwas altes verbessert und einen neuen Namen erhalten hat. Cloud selbst hat doch gar keine genaue Definition und meint viel mehr einen Service-Stack.
Die Idee ein langweiliges Rechenzentrum mit einer Wolke darzustellen ist doch super. Endlich können auch "normale" Menschen damit etwas anfangen.
Stephan Lahl
Starjumper schriebIch erinnere mich wie bereits anno 1996 vorhergesagt wurde, dass es in Zukunft keine vollwertigen Computersysteme Zuhause stehen würden sondern sogenannte Nettops o.ä. (im Sinne von Geräten die nicht mehr als ein Terminal können) Das wurde dann auch in den buntesten Farben ausgemalt und prophezeiht.
Viele Jahre später finden wir eher das absolute Gegenteil vor. Selbst Handys sind durch die Smartphoneentwicklung zu vollwertigen stand-alone Computersystemen mutiert, welche die "Cloud" eher nur zusätzlich für social networking, besonders hohe Reichenleistung (Spracherkennung in google Suche bei Android z.B.), oder zentrale Speicherung nutzen.
Ich denke das ist im Moment wieder mal nur ein Hype, bei dem wieder viele Unternehmen verschwinden, oder schrumpfen werden und eine Handvoll überleben werden.
Bedenklich finde ich vielmehr den teilweisen technischen und sozialen Zwang an solchen Dingen teilnehmen zu müssen. Zwangsinstallierte Apps auf Smartphones sind extrem ätzend, wie auch manchmal die Tatsache, dass man an gewissen "Cloud" Angeboten teilnehmen sollte/muss, will man noch so was wie ein soziales Leben haben. Manche Desktopumgebungen wie z.B. Gnome 3 treiben dies auch ziemlich vor.
Dabei haben die Propheten aber recht gehabt. Ja, die Hardware heute ist verglichen mit damals jenseits von gut und böse.
Aber wofür wird sie benutzt? Die meisten Android-Apps wie auch die M$-Office-Suite inzwischen sind dicke Terminalanwendungen.
Downloadable Logic oder wie das mal hieß. Ich komm nicht mehr drauf.
Man loggt sich mit einem Endgerät oder einer Anwendung, die ein Endgerät emuliert, beim Terminalserver ein.
Und dann bekommt man da ein Dateisystem, Anwendungen, Erweiterungen zu Software auf dem Terminal und so weiter.
Und genau das macht man heute mit Android, iPhone und Windows10 im Büro.
matthias
Geschlossen, da Nekro-Post - lasst uns lieber über Aktuelles reden.